Ein Artikel aus dem Paulinus 2020 von Bobo Bost (mit freundlicher Genehmigung des Autors)
Vor 50 Jahren, am 11. September 1970, fand im Rahmen des 83. Deutschen Katholikentages in Trier, erstmals eine christlich-jüdische Gemeinschaftsfeier statt. Dies war die Geburtsstunde des Forums „Christen und Juden“ auf den deutschen Katholikentagen.
Auf allen Katholikentagen des 19. Jahrhunderts traten antisemitische Redner und Hetzer auf, bei manchen mehr bei manchen weniger, das fiel seinerzeit kaum auf, weil dies gewissermaßen zum guten Ton gehörte. Auf dem ersten Katholikentag in Trier 1865 zum Beispiel machte ein Vertreter des Schweizer Piusvereins, Graf Theodor von Scherer, Redakteur der Schweizer Kirchenzeitung, unter den Bravo Rufen der Hörer, antisemitische Ausfälle. Er machte nachdem er die Juden zunächst für die soziale Misere verantwortlich gemacht hatte, diese auch für den Tod Jesu verantwortlich. Dagegen entgegnete der Trierer Rabbiner Joseph Kahn Tage später in einer Predigt in der Synagoge, dass „jeder nur für seine Taten bestraft werden darf, nicht aber für die Taten der Vorfahren. Außerdem sei es wissenschaftliche Tatsache, dass die Römer aus politischen Gründen Jesus ermordet hätten“.
Im Gegensatz zu den erst nach dem Zweiten Weltkrieg beginnenden evangelischen Kirchentagen schwiegen die schon seit 1848 existierenden Katholikentage nach dem 2. Weltkrieg zunächst zum Thema Holocaust und Shoah. Die Frage der Schuld am Holocaust wurde auf Katholikentagen nicht thematisiert, obwohl das 2. Vatikanische Konzil sich schon seit 1962 darüber geäußert hatte. Erst auf dem Katholikentag vom 9.-13. September 1970 in Trier, es war der insgesamt dritte in Trier, organisierte eine Gruppe „Aktion Kritische Gemeinde“ von Studenten einen Besuch des Konzentrationslagers Hinzert im Hunsrück, das damals noch nicht offiziell als Konzentrationslager anerkannt war. Auf dem Gelände dieses ehemaligen Konzentrationslagers Hinzert hatten sie eine Veranstaltung unter dem neutralen Titel: “Wie Christen in diktatorischen Regimen mitschuldig werden können am Leid Unschuldiger“ organisiert, nachdem eine bereits ins offizielle Programm aufgenommene Pax-Christi-Veranstaltung mit der Begründung abgesagt worden war, dass „Sühneandachten sich nicht für Katholikentage eignen“. Auf diesem Hintergrund fand am 11.September erstmals eine christlich-jüdische Gemeinschaftsfeier im Rahmen eines Deutschen Katholikentages statt. Seit damals gibt es auf jedem Katholikentag eigene Foren zum Dialog mit dem Judentum und viele jüdische Redner.
Der Gesprächskreis "Juden und Christen", dem zurzeit 12 jüdische und 16 katholische Mitglieder angehören, wurde 1971 vom Präsidium des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) ins Leben gerufen. Seit 1974 gestaltet der Gesprächskreis "Juden und Christen" beim ZdK bei allen Katholikentagen und Ökumenischen Kirchentagen den Programmsektor „jüdisch-christlicher Dialog“ mit. Es lag in der Eigendynamik der Sache, dass die ursprüngliche Zielsetzung der Mitgestaltung von Katholikentagen (auch Ökumenischen Kirchentagen), nach und nach erweitert wurde. Deshalb gingen von diesem Kreis Vorschläge und Initiativen für weite gesellschaftliche Bereiche, wie z. Bsp. den Inhalt von Schulbüchern, Dialogveranstaltungen, Gedenkreisen und Grundlagenreflexion aus. Der Gesprächskreis ist seit Jahrzehnten ein wichtiges Gremium, in dem Juden und Katholiken in kontinuierlichem Austausch stehen und zu grundlegenden und aktuellen theologischen Themen gemeinsam Stellung nehmen. Der Gesprächskreis organisiert auch die Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille zur Eröffnung der "Woche der Brüderlichkeit".
Die Anfänge des christlich jüdischen Dialogs nach der Shoah
Vorläufer des Gesprächskreises „Juden und Christen“ war der christlich jüdische Koordinationsrat, der auf die Seelisberger Konferenz von 1947 in der Schweiz zurückgeht, wo sich erstmals inspiriert von Edmond Fleg auf jüdischer Seite und Jacques Maritain auf katholischer nach dem Holocaust im Schweizer Kanton Uri 60 Rabbiner und katholische und protestantische Theologen auf internationaler Ebene trafen, um die Ursachen des christlichen Antisemitismus zu erforschen. Die 10 Punkte von Seelisberg wurden später die Grundlage des Konzilsdokuments Nostra Aetate § 4, beim Zweiten Vatikanischen Konzil 1965. 1948 wurde in Freiburg in der Schweiz der europäische Koordinierungsrat gegründet, dem 1949 der deutsche Koordinierungsrat in Bad Nauheim folgte. Beim Aufbau der ersten Gesellschaften waren Angehörige der amerikanischen Besatzungsmacht im Rahmen ihres Erziehungsprogramms der Deutschen zur Demokratie beteiligt. An vielen Orten in der Bundesrepublik entstanden seit 1949 christlich-jüdische Gesellschaften, nach 1989 auch in den neuen Bundesländern. Die „Woche der Brüderlichkeit“ seit 1952 geht auf sie zurück. Sie hat den jüdisch-christlichen Dialog, die Zusammenarbeit zwischen Christen und Juden sowie die Aufarbeitung des Holocaust zum Ziel.
Schalom Ben Chorin und Trier
Der wohl wichtigste jüdische Pionier dieses theologischen Dialogs in Deutschland war Schalom Ben-Chorin (1913-1999), der als Fritz Rosenthal 1913 in München geboren worden war und 1935 Deutschland zunächst in die Schweiz und dann nach Palästina verlassen hatte. Er war in Palästina ein Schüler von Martin Buber (1878-1965) geworden, der sich für eine Wiederbelebung der chassidischen Bewegung im Judentum einsetzte. Ben Chorin vertrat eine jüdisch-christliche Dialog-Theologie. Ansätze dazu hatte er bereits um 1940 formuliert, wegweisend wurde er damit aber erst nach 1945, mit Schriften wie «Juden und Christen» (1960), sowie der Trilogie über Jesus, Paulus und Mirjam, in der er zu der sprechenden Formel fand: «Der Glaube Jesu einigt uns, aber der Glaube an Jesus trennt uns.» Sein Appell an die Juden, «das Evangelium vom Christus Jesus» für den eigenen Glauben als essenziell anzusehen empfanden viele Juden als Grenzüberschreitung zum Christentum hin, unter ihnen auch der Dialogphilosoph Martin Buber. Ben-Chorin war 1956 erstmals wieder nach Deutschland gereist, wo er zur Leitfigur des jüdisch christlichen Dialogs wurde. 1958 gründete Ben Chorin die Jerusalemer Reformgemeinde Har El und gilt damit als Begründer des Reformjudentums in Israel. Unermüdlich arbeitete er bis zu seinem Tod 1999 an der Überwindung des doppelten Bruchs zwischen Juden und Christen, und zwischen Israelis und Deutschen.
Auch die Gründung der Trierer Christlich-jüdischen Gesellschaft Trier am 13. Januar 1969 ging auf ihn zurück. Ein Vortrag von Ben Chorin im Jahre 1967 in Trier gilt als die „Geburtsstunde“ der Gesellschaft für christlich- jüdische Zusammenarbeit in der Römerstadt. 1969 organisierte Werner Adrian, damaliger Leiter des katholischen Paulinus-Verlages, die Gründungsversammlung der christlich jüdischen Gesellschaft Trier. Stargast war Oberrabbiner Emmanuel Bulz (1917-1998) aus Luxemburg, der Martin Buber zweimal begegnet war. Er stellte in seinem Festvortrag Martin Buber als "Mann des Dialogs" und Wegweiser aus der "Vergegnung" (Martin Buber), von der die Geschichte der Beziehungen zwischen Juden und Christen fast durchgängig gezeichnet war, hin zur Begegnung, vor.
Trier besitzt heute eine der beiden deutschen Lehrstühle für Jiddisch, es hat seit 1997 mit dem Emil Frank Institut an der Uni Trier ein anerkanntes Forschungszentrum der regionalen jüdisch-christlichen Geschichte und in interkultureller Begegnung aller Religionen.
Bodo Bost