GEMEINSAM GEGEN GEWALT UND FÜR FRIEDEN

Von Burhanettin Dag, Theologe und Philologe, Mitglied im Vorstand des Zentralrates der Muslime in Deutschland, e.V. 

Sehr geehrte Damen und Herren und Anhänger der Nation Abrahams

Asslamu aleykum, Gottes Segen und Friede sei auf euch allen.

Ich würde mich gerne kurz über drei Themen aus der Perspektive des Kor’ans, der Tradition des Propheten Muhammed (s.a.a) und der gnostisch-mystischen Literatur des Islam mit Ihnen austauschen.

Das erste Thema ist :
Die Gemeinsamkeiten der abrahamitischen Religionen.

Wir Anhänger der Nation Abrahams sind auf zweierlei Wegen miteinander verwandt.

Erstens: Alle Propheten - sowohl arabische als auch israelitische - sind Kinder Abra­hams. Die eine Linie der Propheten sind Kinder von Isaak wie Jakob, Josef, Moses, David, Salomon und Jesus, und die andere, die sogenannte arabische Linie wie Hud, Salih, Jonas und Muhammed sind Kinder von Ismael oder Samuel. Somit sind die Anhänger der abrahamitischen Religionen als Cousins miteinander verwandt.

Zweitens: Alle drei Religionen vertreten die Kernbotschaft des Propheten Abraham (a.s). Er ist nach Noah der Bannerträger des Mono­theismus. Seine Hauptbotschaft besteht aus drei Grundsätzen: Mono­theismus, Prophetie und Auferstehung. Wir Anhänger aller drei Religionen vertreten diese drei Grundsätze mit Nuancen und unterschiedlichen Interpretationen.

Das heißt, dass wir sowohl in Glaubens­aspekten als auch in der Gesinnung miteinander verwandt sind. Im Kor'an wird in vielen Stellen - als Beispiel Sura Al-Ala Nr. 87 bis zu den letzten Versen - Bezug auf die Botschaft von Abraham, Moses, Jesus und der anderen Propheten genommen. „... obwohl das Jenseits besser und dauer­hafter ist. Wahrlich all dies stand bereits in den alten Schriften, den Schriften von Abraham und Moses.“ Damit wird auch der wichtigste Grundsatz von den dreien, also „Jenseits und Auferstehung“ als ein gemeinsamer Grundsatz betont. In anderen Versen des Kor’ans sind andere Gemeinsamkeiten betont. In der dritten Sure Vers 64 sagt der erhabene Gott:

Sprich: ,O Leute der Schrift! Kommt herbei! Einigen wir uns darauf, dass wir Allah (Gott) allein dienen und nichts neben Ihn stellen und dass die einen von uns die anderen nicht zu Herren neben Allah annehmen.´ Wenn sie Euch den Rücken kehren, dann sprecht: ´Bezeugt, dass wir Gott-ergebene sind´.

In diesem Vers wird Monotheismus und Gottesdienst als ein gemeinsamer Grund­satz betont. In derselben Sure in Vers 84 wird über den Glauben an alle Propheten gesagt: „Sprich: Wir glauben an Allah und an das, was auf uns herab gesandt worden ist und was auf Abraham und Ismael und Isaak und Jakob und auf die Stämme herab gesandt worden war und was Moses und Jesus und den Propheten von Ihrem Herrn gegeben wurde. Wir machen keinen Unterschied zwischen einen von ihnen und Ihm sind wir ergeben.“ Der letzte Teil dieses Vers wird an anderen Stellen des Kor'ans wiederholt. Dies bedeutet, dass der Islam alle anderen Glieder der göttlichen Religionskette akzeptiert. Diese Kette in seiner Gesamtheit bedeutet „Gott Ergebenheit“: Islam.

Die Ringparabel von Lessing sagt diesbezüg­lich vieles, (wie auch Goethe gesagt hat):

«Närrisch, dass jeder in seinem Falle
Seine besondere Meinung preist!
Wenn Islam Gott ergeben heißt,
In Islam leben und sterben wir alle.»

Ich möchte gerne jetzt eine Dichtung von Mewlana Rumi von seinem Masnawi über die Propheten, die als Lichtstrahlen von derselben Lichtquelle dargestellt werden, für Sie vortragen:

Sind Hundert Lampen in einem Raum,

und hat jede von Ihnen eine andere Form.

Wenn man sich nun nur auf die Form konzentriert,

sieht man äußerlich einen großen Unterschied.

Konzentriert man sich hingegen auf das Licht,

dann ist kein Unterschied mehr in Sicht.

Kein Zweifel: Sie sind alle von einem Licht.

Such die Meinung und Substanz im Kor’an

und sag: Unterschiede zwischen Ihnen machen wir keinen,

Und Ihm sind wir ergeben.

Das bedeutet, dass alle Propheten Vertreter einer Religion sind. Sie führen alle zum gleichen Licht und zu der einen Wahrheit. Wir Muslime sind verpflichtet, all diese Propheten zu lieben und zu ehren. Sie sind unsere Lehrer und Teil unseres Glaubens.

In einer anderen Dichtung erzählt auch Mewlana Rumi die Geschichte eines jüdischen Königs, der im Namen des Judentums die Christen verfolgte und tötete, so ähnlich wie heute im Namen des Islam Anhänger anderer Religionen und Denkschulen getötet werden. Er erzählt die Geschichte ausführlich, und am Ende erteilt er eine weise Lektion, die auch für uns heute richtungweisend sein kann. Er sagt:

Wenn jemand in Jesus und Moses zwei sieht und im Namen eines von Ihnen die Anhänger des anderen tötet, so schielt er! Er sieht eins und meint, zwei zu sehen.

In der heutigen Zeit sind besonders die Extremisten, die im Namen des Islam im Nahen Osten wüten, die in Nord-Afrika Muslime, Christen und Jeziden töten, kranke Menschen, die schielen. Und genauso diejenigen, die im Namen des Judentums oder Christentums Menschen töten und Moscheen zerstören, wie dies in Zentral-Afrika der Fall ist; oder die Synagogen attackieren und Moscheen in Brand stecken. Diese Art von kriminellen Handlungen werden im Islam aufs Schärfste verurteilt und haben keine glaubens­bezogene Legitimation. Denn unschuldige Menschen und Gebets­häuser genießen Immunität. Das steht sowohl im Kor'an als auch in der Sunna des Propheten.

Wenn der Prophet des Islam von Moses oder Jesus (a.s) redete, sagte er stets „Mein Bruder Jesus ...“ oder „Mein Bruder Moses hat dies oder das gesagt“.
Für uns Muslime ist der Freitag ein heiliger Tag. Ein Grund hierfür ist, weil an diesem Tag Jesus geboren ist.
Mehr als hundertmal kommt der Name Moses im Kor'an vor, und der Name Jesus 24-mal.

Wir sind Brüder und Schwestern und sollten daher einen menschlichen, ethischen und guten Umgang miteinander haben. Wir sind nicht Wölfe für einander, wie einige das betonen. Brüder sollten einander lieben, respektieren und manchmal auch tolerieren.

Das zweite Thema ist:
Gewalt im Namen des Islam oder der Religionen.

Noch immer fordern die Politiker und Publizisten und so auch die Gesellschaft eine Distanzierung der Muslime vom Terror der Isis, Boko Haram, Taliban oder Schebab in Somalia. Von Ihnen weithin unbeachtet haben jedoch praktisch alle relevanten muslimischen Verbände - vor allem auch die islamischen Autoritäten bis hin zu dezidiert konservativ-traditiona­listischen Kreisen - diese Organisation ISIS gemein­sam als barbarisch und un-islamisch verdammt. Wenn Islam-Kritiker dies ignorieren und eine Nähe der Grund­prinzipien des Islam zum ISIS und zu anderem Terror behaupten, entspricht ihr Islambild in gewisser Weise dem der Fundamentalisten. Mit dem Islam der allermeisten Muslime und ihrer Autoritäten hingegen hat dieses Bild nicht viel zu tun.

Wie Sie wissen, haben 120 renommierte Gelehrte der islamischen Welt eine gemeinsame ausführliche Fatwa erlassen und dadurch klar und eindeutig und vor allem theologisch verurteilt, was der ISIS im Namen des Islams an Bösem und Barbarischem tut und was absolut gegen die islamischen Gebote und kor'anischen Anweisungen verstößt. Lassen Sie mich einige Zitate hieraus vortragen:



Kurzfassung

  1. Es ist im Islam verboten, fatwā (Rechtsurteile) zu sprechen, ohne die dafür jeweils notwendige Bildung und Kenntnis zu haben. Sogar diese Fatwās müssen der islamischen Rechtstheorie folgen, wie sie in den klassischen Texten dargelegt wurde. Es ist ebenfalls verboten, einen Teil aus dem Koran oder einen Vers zu zitieren, ohne auf den gesamten Rest zu achten, was der Koran und die Hadithe über diese Angelegenheit lehren. Mit anderen Worten gibt es strikt subjektive und objektive Vorbedingungen für Fatwās. Bei der Sprechung einer Fatwā, unter Verwendung des Korans, können nicht „die Rosinen unter den Versen herausgepickt“ werden, ohne Berücksichtigung des gesamten Korans und der Hadithe.

  2. Es ist im Islam vollkommen verboten, Recht zu sprechen, wenn die arabische Sprache nicht gemeistert wurde.

  3. Es ist im Islam verboten, Scharia-Angelegenheiten zu stark zu vereinfachen und festgelegte islamische Wissenschaften zu missachten.

  4. Es ist im Islam [den Gelehrten] gestattet, Meinungsverschiedenheiten über bestimmte Angelegenheiten zu haben, außer in all jenen, welche als die Fundamente der Religion gelten, die allen Muslimen bekannt sein müssen.

  5. Es ist im Islam verboten, bei der Rechtsprechung die Wirklichkeit der Gegenwart zu missachten.

  6. Es ist im Islam verboten, Unschuldige zu töten.

  7. Es ist im Islam verboten, Sendboten, Botschafter und Diplomaten zu töten; somit ist es auch verboten, alle Journalisten und Entwicklungshelfer zu töten.

  8. Dschihad ist im Islam ein Verteidigungskrieg. Er ist ohne die rechten Gründe, die rechten Ziele und ohne das rechte Benehmen verboten.

  9. Es ist im Islam verboten, die Menschen als Nichtmuslime zu bezeichnen, außer sie haben offenkundig den Unglauben kundgetan.

  10. Es ist im Islam verboten, Christen und allen „Schriftbesitzern“ – in jeder erdenklichen Art - zu schaden oder sie zu missbrauchen.

  11. Es ist eine Pflicht, die Jesiden als Schriftbesitzer zu erachten.

  12. Die Wiedereinführung der Sklaverei ist im Islam verboten. Sie wurde durch universellen Konsens aufgehoben.

  13. Es ist im Islam verboten, Menschen zur Konversion zu zwingen.

  14. Es ist im Islam verboten, Frauen ihre Rechte zu verwehren.

  15. Es ist im Islam verboten, Kindern ihre Rechte zu verwehren.

  16. Es ist im Islam verboten, rechtliche Bestrafungen sowie Körperstrafen (udūd) auszuführen, ohne dem korrekten Prozedere zu folgen, welches Gerechtigkeit und Barmherzigkeit versichert.

  17. Es ist im Islam verboten, Menschen zu foltern.

  18. Es ist im Islam verboten, Tote zu entstellen.

  19. Es ist im Islam verboten, Gott - erhaben und makellos ist Er – böse Taten zuzuschreiben.

  20. Es ist im Islam verboten, die Gräber und Gedenkstätten der Propheten und Gefährten zu zerstören.

  21. Bewaffneter Aufstand ist im Islam in jeglicher Hinsicht verboten, außer bei offenkundigem Unglauben des Herrschers und bei Verbot des Gebets.

  22. Es ist im Islam verboten, ohne den Konsens aller Muslime ein Kalifat zu behaupten.

  23. Loyalität zur eigenen Nation ist im Islam gestattet.

  24. Nach dem Tod des Propheten - Frieden und Segen seien auf ihm – verpflichtet der Islam niemanden, irgendwohin auszuwandern.

Die Gelehrten haben alle genannten Punkte mit Versen aus dem Kor'an und mit Hadithen von Propheten oder mit der Meinung von Konfessions-Imamen untermauert.

Das dritte Thema ist:
Frieden:

Islam heißt Frieden. Muslim heißt Frieden-schenkender. Ziel und Zweck aller Propheten ist es, viererlei Frieden zu schaffen oder - anders gesagt - die viererlei Beziehungen der Menschen auf der Basis von Frieden und Versöhnung zu regeln und etablieren. Diese viererlei Beziehungen sind Mensch - Gott, Mensch mit sich selbst, Mensch mit Mitmenschen und Mensch mit Natur. Zuerst soll der Mensch mit sich selbst in Frieden sein. Jemand, der mit sich selbst in Disharmonie und Krieg ist, kann nicht anderen Frieden schenken. Unter Menschen Frieden zu stiften, ist als eine der besten guten Taten vorgestellt. Über den Frieden mit Nicht-Muslimen so sagt der Kor'an: „Wenn sie sich dem Frieden zuneigen, dann neige auch du dich ihm zu.“ (Sure 6. 61) oder in einem anderen Vers sagt der Erhabene „O ihr Gläubigen, tretet allesamt für den Frieden ein und folgt nicht den Fußstapfen des Teufels.“

Der Kor'an lehrt, dass der Mensch die Rechtleitung Gottes braucht, um mit sich, mit seinen Mitmenschen und mit der Schöpfung als solcher zurecht zu kommen. Die Rechtleitung Gottes, soll dem Menschen helfen, seine Defizite zu überwinden und sich gut zu entfalten.

Der Prophet Muhammad sagte in einer Überlieferung: Gott hat 99 Attribute. Wer diese verinnerlicht, ist rechtgeleitet. Unter diesen Namen ist „assalam“ (der Friede). Diesen Namen zu verinnerlichen heißt, sich durch diesen Namen zu transformieren, zu veredeln und sich prägen zu lassen. Dies bedeutet nicht nur über Frieden nachzu­denken und Frieden zu verkünden, sondern Frieden zu bewirken, dem Frieden zu dienen, ja selbst der Frieden zu werden. Selbst eine Brücke zu werden, um den göttlichen Frieden für die anderen, aber auch für die ganze Schöpfung zugänglich zu machen.

Der Mensch soll beten und dienen und nicht selbst ein Spielball seines „Willens zur Macht“ sein, wie Friedrich Nietzsche es ausdrücken würde.

Freiheit und Frieden sind eng mit der Spiritualität verbunden. Sie sind die Früchte der Spiritualität.

Wir Muslime beenden unser Gebet mit dem Spruch „assalamu alaikum“(Der Friede sei mit euch ); dabei wird der Kopf nach rechts und nach links gewendet. Das Gebet schickt uns den Auftrag, Frieden auf der Welt zu stiften. Der Kor'an sagt: Das Gebet hält den Menschen fern von Schändlichkeiten und Unrecht.

Wenn wir uns begrüßen, sagen wir: „assalamu aleikum wa rahmatulahi wa barakatuhu“. Das ist eine zentrale Botschaft, die uns laufend begleitet.

Der Prophet (saas) antwortete einmal auf die Frage eines Gefährten, was das Beste sei, was er tun könne. Der Prophet antwortete: Das Beste, was einer tun kann, ist die Gebete rechtzeitig zu verrichten und Menschen miteinander zu versöhnen.



Die Religionen…

- sollen den Menschen Halt und Orientierung geben

- stehen für Solidarität, gegenseitige Achtung, Versöhnung und Toleranz

- sollen eine reale Alternative sein, um Kampf und Krieg zwischen den Kulturen und Völkern um Ressourcen, Macht und Geopolitik zu verhindern

- sind gegen Ignoranz, religiöse Intoleranz, Trennung, religiöse Abkapselung und Gegenkultur, gegen Anstiftung von religiösem Hass, Gewalt, Unterdrückung und Verfolgung

- schlagen Brücken zu Menschen, die keinen Glauben haben. Auf der Suche nach gemeinsamen – auch säkularen, ethischen Normen, die dem Frieden und der Tole­ranz dienen.

- unterstützen den Dialog, treten für Deeska­lation und gewaltfreie Konfliktlösung ein und bilden Initiativen hierzu.

Wir benötigen eine Friedensorientierung, Friedensethik, welche jungen Muslimen ermöglicht, sich auf eine gesunde Art mit ihrer Religion zu identifizieren, um ihre religiösen Pflichten zu erfüllen. Praktizierte Frömmigkeit ist von radikalen Ansichten zu differenzieren.

Das Wort „Frieden“ wird im Kor'an 50-mal erwähnt, die Urgeschichte des Islams, gibt sehr viel Material für eine Friedensethik her.

Zum Abschluss meines Vortrages möchte ich Ihnen ein Bittgebet ans Herz legen:

O unser Herr, du bist Friede, einer von deinen Namen lautet Frieden (Assalam).

O Herr, du leitest diejenigen, die nach deinem Wohlgefallen streben, den Weg des Friedens und leitest sie aus der Finsternis hinaus ans Licht und führst sie auf einen geraden Weg.

Und du lässt sie in dein Paradies, welches du die Behausung des Friedens genannt hast, eintreten.

O Herr, du hast deine Religion die Religion des Friedens genannt, dein Grußwort und das Grußwort der Gläubigen in dieser Zeit und im Paradies ist Salam.

Du hast alle Gläubigen aufgefordert, den Weg des Friedens zu gehen und nicht den Weg des Satans zu beschreiten.

Dann, o Herr, erbitten wir von dir den Frieden, weil du der Frieden bist, und von dir geht Heil und Frieden aus; so belebe uns mit Frieden.

Lass uns in Frieden leben, sterben und auferstehen.